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Oligodendrozyten und Schwannzellen

Die Hauptfunktionen von Oligodendrozyten und Schwannzellen ist die Bildung von Myelin. Myelin isoliert axonale Segmente und ist die Voraussetzung für die hohe Leitungsgeschwindigkeit von bis zu 200m/s bei Vertebraten. Während man bei Invertebraten Gliazellen assoziiert mit Axonen findet, ist die Bildung von Myelin eine phylogenetische Erfindung der Vertebraten vor rund 400 Millionen Jahren.  Alle Vertebraten, bis auf die kieferlosen Fische wie das Neunauge, haben Oligodendrozyten. Die Entwicklung von Myelin in der Evolution hat die Entwicklung des Nervensystems bei Vertebraten extrem positiv beeinflusst. Sogar bei Neurobiologen wird oft die Bedeutung des Myelins für die Evolution der Vertebraten unterschätzt. Während es Allgemeinwissen ist, dass mit der Evolution in Richtung komplexer Gehirne die Anzahl der Neurone angestiegen ist auf bis zu 100 Billionen, ist es nicht so klar, dass nur durch Myelin alle diese Neurone in einer komplizierten Verschaltung verbunden sein können. Das kann leicht an einem Beispiel illustriert werden: Um die Nervengeschwindigkeit zu erhöhen kann man entweder Myelin bilden oder den Durchmesser des Axons vergrößern. Die Riesenaxone beim Tintenfisch haben einen Durchmesser von ungefähr 1mm und erreichen Leitungsgeschwindigkeiten wie schnelle myelinisierte Motoraxone. Der optische Nerv hat ungefähr 1 Millionen myelinisierte Axone, die mit hoher Geschwindigkeit Axonspotentiale leiten. Eine Version des optischen Nerven mit Axonen von 1mm Durchmesser würde den optischen Nerv auf einen Durchmesser von 0,75 m bringen. Wenn man bedenkt, dass das menschliche Gehirn bis zu 50% aus weißer Substanz besteht, dann ist das evident, dass die hohe Verschaltung des menschlichen Gehirns ohne die Bildung von Myelin unmöglich wäre.

Morphologie der Oligodendrozyten

Alle weißen Fasertrakte enthalten Oligodendrozyten, die myelinisieren. Man findet Oligodendrozyten jedoch auch in der grauen Substanz. Während man Oligodendrozyten in der Regel  mit Myelinisierung verbindet, gibt es auch Oligodendrozyten, die kein Myelin bilden. Diese Satelliten-Oligodendrozyten findet man präferentiell in der grauen Substanz, und sie haben bisher unbekannte Funktionen. Die Myelin-bildenden Oligodendrozyten haben mehrere Ausläufer (bis zu 40) die mit einem Myelinsegment verbunden sind . Jedes dieser Segmente ist einige 100μm lang und wird auch Internode genannt. Diese Segmente sind unterbrochen von Strukturen, die als Ranvierscher Schnürring bekannt sind und ungefähr 1μm lang sind. An diesen Schnürring ist das Axon nicht von Myelin umgeben. Das Ende eines internodalen Segments enthält mehr  Zytoplasma und bildet den sogenannten paranodalen Loop. Diese Regionen werden auch von Astrozyten-Ausläufern kontaktiert. Ähnlich wie bei Astrozyten sind auch Oligodendrozyten über elektrische Synapsen gekoppelt. Diese elektrische Synapsen haben eine wichtige Funktion für die Bildung von Myelin. Mutationen in diesen  Connexin-Proteinen, die diese Synapsen bilden, führen zu einer reduzierten Myelinisierung und beim Menschen zum Krankheitsbild der Leukodystrophien.

Entwicklung der Oligodendrozyten

Die Myelin-Bildung beginnt bei Nagern bei der Geburt und ist nach 2 Monaten beendet. Beim Menschen beginnt sie in der 2. Hälfte des fötalen Lebens. Die Hauptaktivität der Myelinisiertung findet man dann im 1. Lebesjahr und sie dauert bis zum 20. Lebensjahran. Man findet generell, dass größere Axone dickeres Myelin haben. Während der Entwicklung entstehen die Oligodendrozyten aus Vorläuferzellen, die in der subventrikulären Zone zu finden sind. Im Rückenmark entstehen die Oligodendrozyten aus der ventralen Region des Neuralrohrs und im optischen Nerven wandern sie in den Nerv vom 3. Ventrikel aus ein. Die Oligodendrozyten-Vorläuferzellen wandern an ihr Zielgebiet und differenzieren sich dort in reife Oligodendrozyten. Die Proliferation von den Oligodendrozyten-Vorläuferzellen wird durch eine ganze Reihe von Wachstumsfaktoren kontrolliert, die von Neuronen, aber auch von Astrozyten freigesetzt werden wie zum Beispiel platelet derived growth factor (PDGF) oder fibroblast growth factor (FGF). Oligodendrozyten, die im Überschuss gebildet werden, was unter normalen Bedingungen der Fall ist, werden später durch Apoptose eliminiert (Emery, 2010; Miller, 2002). Die Oligodendrozyten- Vorläuferzellen findet man nicht nur während der Entwicklung, sondern auch im erwachsenen Gehirn. Diese Zellen werden als eine Quelle für Re-Myelinisierung angesehen wie sie zum Beispiel in Erkrankungen wie Multiple Sklerose auftreten kann (Franklin, RJ & Ffrench-Constant, 2008). Es gibt eine Reihe von Markern, mit denen diese Vorläuferzellen identifiziert werden können wie zum Beispiel der Transkriptionsfaktor Olig-2 oder das Proteoglykan NG2. Die NG2 positiven Zellen haben in letzter Zeit besondere Aufmerksamkeit erregt. Obwohl sie die Möglichkeit haben, sowohl in Astrozyten als auch in Oligodendrozyten zu differenzieren, scheint ihre Hauptrichtung jedoch auf die Oligodendrozyten-Linie festgelegt zu sein. Diese Vorläuferzellen assoziieren sich auch mit Axonen. Sie exprimieren Glutamatrezeptoren und können die Aktivität von Axonen detektieren, vermittelt  über die Freisetzung von Glutamat. Sie erhalten auch synaptische Kontakte von Neuronen.

Schwannzellen

Schwannzellen sind das zelluläre Pendant zu Oligodendrozyten im peripheren Nervensystem. Ähnlich wie Oligodendrozyten bilden sie die Myelinscheide. Im Gegensatz zu Oligodendrozyten ist jede Schwannzelle nur mit einem einzigen Axon assoziiert. Während das Myelin, das von Oligodendrozyten und Schwannzellen gebildet wird, eine ähnliche Ultrastruktur hat, wird es zum Teil von unterschiedlichen Proteinen gebildet. Während zentrales und peripheres Myelin ´basisches Myelinprotein´ enthält, findet man im peripheren Nervensystem kein Myelin-assoziiertes Glycoprotein oder das Proteolipid Protein, aber statt dessen Protein P0 und PMP22. Während der Entwicklung entstehen die Schwannzellen aus undifferenzierten migratorischen Zellen aus der Neuralleiste. Die unreifen Schwannzellen transformieren entweder in myelinisierende oder nicht-myelinisierende Schwannzellen(Jessen&Mirsky, 2005). Die letzteren umhüllen Axone ohne Myelin-Bildung.

Die Myelin-Scheide

Die Myelin-Scheide wird gebildet durch die Umhüllung des Axons durch einen Ausläufer von Oligodendrozyten oder Schwannzellen, der sich um das Axon wickelt (Sherman & Brophy, 2005). Das intrazelluläre Kompartiment ist sehr stark reduziert auf einen Durchmesser von nur 30Angström und erscheint im Elektronenmikroskop als eine einzelne Linie, genannt die ´major dense line´. Die äußere Oberfläche der Lipid-Doppelschicht erscheint als eine unterscheidbare Linie getrennt durch Extrazellulärraum. Sie wird die ´double interperiod line´ genannt. Auf Grund dieser enormen Vedichtung ist das Myelin kaum wasserhaltig und die Trockenmasse enthält ungefähr 70% Lipide und 30% Proteine. Es gibt eine Anzahl von hochspezifischen Proteinen, die man nur im Myelin findet und die essentiell ist für die Bildung dieser Struktur sind. Das Hauptbestandteile sind das Myelin-assoziierte Glykoprotein, das basisches Myelinprotein, das Myelin-Oligodendrozyte- Glykoprotein, Proteolipidprotein und PMP22 . Diese Proteine werden nur von Myelin produzierenden Zellen, nämlich Oligendendrozyten und Schwannzellen produziert, und sind exzellente Marker, um diese Zellen zu identifizieren. Innerhalb der Myelin-Lagen findet man eine Art Kanal, der Zytoplasma enthält, genannt die Schmidt-Lantermann-Einkerbungen. Nicht alle Vertebraten Axone sind myelinisiert, aber generell kann man sagen, dass alle Axone, die einen größeren Durchmesser als 1μm haben, in der Regel myelinisiert sind. Es hat sich gezeigt, dass das Axon ein Signal an die Oligodendrozyten vermittelt, das die Dicke der Myelin-Scheide reguliert. Ein wichtiger Signalweg ist der Wachstumsfaktor Neuregulin-1, der an den ERbB Rezeptor bindet, der von Oligodendrozyten exprimiert wird (Simons& Trajkovic, 2006; Nave, 2010). Ein ähnlicher Signalmechanismus existiert auch in Schwannzellen. Diese Interaktion führt dazu, dass es ein definiertes Verhältnis zwischen Axondurchmesser und dem äußeren Myelin-Durchmesser gibt, das sogenannte G-Verhältnis, das üblicherweise zwischen 0,6 und 0,7 liegt.

Die Bildung von Myelin erlaubt die saltatorische Erregungsleitung.

Der Ranviersche Schnürring enthält eine hohe Dichte von Natriumkanälen, die die saltatorische Leitung ermöglicht (aus dem Lateinischen saltare = springen).  Das Aktionspotential wird dabei nur am Schnürring gebildet und breitet sich dann passiv aus bis zum nächsten Schnürring aus, wo wieder das nächste Aktionspotential generiert wird. Auf diese Art und Weise springt das Aktionspotential von Schnürring zu Schnürring. Das ist nicht nur erheblich schneller, sondern verbraucht auch viel weniger Energie, weil sich die Natriumionen nur am Schnürring intrazellulär akkumulieren und auch nur dort wieder aus dem Axon heraustransportiert werden müssen, was durch die energetisch aktive Natrium-Kalium-ATPase vermittelt wird. Vor der Myelinbildung sind die Natriumkanäle gleichmäßig entlang des Axons verteilt. Gleichzeitig mit der glialen Umhüllung beginnen sich diese Natriumkanäle an der Stelle zu konzentrieren, die später zum Ranviersche Schnürring wird. Als Konsequenz sind bei  myelinisierten Axone alle Natriumkanäle am Ranviersche Schnürring konzentriert. Diese Konzentration wird über Proteininteraktionen zwischen der myelinisierenden Zellmembran und der axonalen Membran vermittelt wie durch die Moleküle Gliomedin, Neurofascin und NCAM (Nave&Trapp, 2008).

Myelinisierende Zellen und Erkrankungen

Die am weitetsten verbreitete Krankheit, die Oligodendrozyten direkt involviert, ist Multiple Sklerose. Man findet dabei einen Verlust von Myelin in definierten Regionen des Gehirns und Rückenmarks, was zu einem Verlust der axonalen Leitung führt. Diese demyelinisierenden Bereiche können sich wieder durch Re-Myelinisierung erholen, aber man findet sehr häufig Rückfälle, die dann langfristig zu einer ständigen Neurodegeneration führen können. Die auslösenden Faktoren sind bis jetzt noch weit im Dunkeln. Es ist bekannt, dass diese demyelinisierten Regionen inflammatorische Zellen wie infiltrierende Lymphozyten und Makrophagen und aktivierte Mikroglia enthalten. Diese Zellen könnten die Schadenskaskade weiter beschleunigen. Andere erblich vermittelte Myelin-Funktionsstörungen im ZNS sind die Pelizäus Merzbacher Krankheit und Pelizäus Merzbacher ähnliche Erkrankungen. Die meisten dieser genetisch bedingten Pathologien sind assoziiert mit Mutationen in Myelin-Proteinen oder Connexinen, den Molekülen, die elektrische Synapsen bilden. Ähnlich wie im ZNS findet man im peripheren Nervensystem ebenso Mutationen in Myelinproteinen oder Connexinen der Schwannzellen, die der Charcot-Marie-Tooth Erkrankung liegen. Das zeigt auch, dass Myelin-Bildung essentiell für das Überleben der Vertebraten ist.

Modifiziert aus: Kettenmann H.; Verkhratsky A. (2011) Neuroglia - Living Nerve Glue,  Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie   79: 588-597