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Mikrogliazellen

Mikroglia repräsentieren das endogene Verteidigungs- und Immunsystem des Gehirns, das verantwortlich ist für den Schutz des ZNS gegen eine Reihe pathogener Faktoren. Mikrogliazellen stammen von Vorläufern ab, die früh während der Entwicklung in das Gehirn einwandern. Nachdem diese Zellen ins Gehirn eingewandert sind, wandeln sie sich in einen morphologisch sehr klar identifizierbaren Zelltyp um, der die ruhende Mikrogliazelle genannt wird.

Die ruhende Mikroglia ist die sich am schnellsten bewegende Zelle im Gehirn

Unter physiologischen Bedingungen existiert die Mikroglia in einer ramifizierten Form, die bisher als sogenannte ruhende Mikroglia bezeichnet wurde. Diese Zelle ist durch einen kleinen Zellkörper charakterisiert und einer ganzen Anzahl von sehr dünnen elaborierten Ausläufern, die in alle Richtungen zeigen. Ähnlich wie Astrozyten scheint jede Mikrogliazelle ein eigenes Territorium zu haben, größenordnungsmäßig 15 – 30 μm im Durchmesser. Es gibt relativ wenig Überlappung zwischen den benachbarten Territorien. Die Ausläufer der ruhenden Mikrogliazelle bewegen sich konstant innerhalb dieses Territoriums. Das ist eine verhältnismäßig schnelle Bewegung mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 1.5μm/min. Somit sind diese mikroglialen Ausläufer die sich am schnellsten bewegenden Strukturen im Gehirn. Zudem können diese mikroglialen Ausläufer ständig Ausstülpungen bilden und wieder einziehen mit einer Geschwindigkeit von 2 – 3 μm/min. Neuere Studien zeigen, dass diese Ausläufer für mehrere Minuten an synaptischen Kontakten verweilen. Basierend auf der Geschwindigkeit dieser Bewegungen kann man davon ausgehen, dass das gesamte Gehirnparenchym innerhalb weniger Stunden von den mikroglialen Ausläufern durchgescannt wird. Die Motilität dieser Ausläufer wird zum Beispiel durch ATP kontrolliert. Ein fokaler Schaden, den man experimentell mit einem Laser erzeugen kann, bewirkt eine sehr schnelle Bewegung der Ausläufer zu diesem Schadensgebiet. Diese Schadensgebiete werden innerhalb einer Stunde komplett von Ausläufern durchdrungen. Auch diese Aktivität wird durch Purinorezeptoren kontrolliert.

Aktivierung der Mikroglia

Wenn Mikrogliazellen irgendeine Schädigung im Gehirn entdecken, wird in ihnen ein Programm gestartet, das diese Zellen von der ramifizierten Form in eine amöboide Form umwandelt. Diesen Prozess nennt man generell mikrogliale Aktivierung. Mikrogliale Aktivierung geht durch verschiedene Stadien. Zuerst ziehen die Mikrogliazellen ihre Fortsätze ein, die dann weniger und dicker werden. Sie vergrößern den Durchmesser des Zellkörpers und beginnen eine Reihe von Molekülen zu sezernieren. Einige Mikrogliazellen können auch proliferieren, so dass die Anzahl der Mikrogliazellen um eine Läsionsseite ansteigt. Die Zellen werden auch motil und bewegen sich über amöboide Bewegungen auf die Schadensstelle zu. Im weiteren Schadensverlauf können diese Zellen auch phagozytieren. Das ist eine grobe Zusammenfassung der hochkoordinierten Veränderungen, die in Mikrogliazellen während der Aktivierung ablaufen. Diese Aktivierung ist graduell und es exisistieren viele unterschiedliche Zustände je nach Art der Pathologie oder im Verlauf der Pathologie. Die Signale, die die mikrogliale Aktivierung kontrollieren, sind hoch komplex, und es gibt eine sehr lange Liste von Rezeptoren, über die sie vermittelt werden. Generell unterscheidet man zwei Arten der Signale, die ´off´- und ´on´-Signale. Ein ´off´-Signal bedeutet, dass eine Substanz, die normalerweise im Gehirn vorhanden ist, plötzlich in ihrer Konzentration absinkt oder gar verschwindet. Das initiiert die Aktivierung, und Beispiele dafür sind Neurotransmitter. Die ´on´-Signale sind Signale, die normalerweise nicht im Gehirn sind oder nur in sehr geringer Konzentration und dann plötzlich mit der Pathologie entweder neu auftauchen oder stark ansteigen. Ein klassisches Beispiel dafür sind Zellwandbestandteile von Bakterien wie Lipopolysaccharide, die im Kontext einer Meningitis im Gehirn auftauchen können. LPS wird sehr häufig als klassische Substanz verwendet, um eine starke Mikrogliaaktivierung in experimentellen Systemen auszulösen. Weitere Moleküle sind ATP, Zytokine, Wachstumsfaktoren oder Komplementfaktoren.

Migration und Motilität

Mikrogliale Migration ist essentiell für viele patholgische Prozesse. Die Mikrogliazellen können zwei Arten von Bewegungen machen: In der ramifizierten Form bewegen sie aktiv ihre Ausläufer, ohne dass sich der Zellkörper verändert wie oben beschrieben. In der amöboiden Form bewegen die Mikrogliazellen nicht nur ihre Fortsätze, sondern die gesamte Zelle kann durch das Gehirngewebe wandern. Diese mikrogliale Migration erfolgt während der Entwicklung,  wenn die eindringenden Monozyten sich im Gehirn verteilen. Eine ähnliche Bewegung wird durch pathologische Veränderungen ausgelöst, nachdem die ramifizierte Mikroglia aktiviert wird und sich in eine amöboide Form umwandelt. Diese wandert zu der Schadensstelle. Es gibt eine ganze Reihe von Kandidaten-Molekülen, die als pathologische Signale wirken und chemotaktische Bewegungen auslösen. Diese Moleküle umfassen ATP, Cannabinoide, Chemokine und Bradykinin. Die Bewegung der Mikrogliazelle involviert die Umverteilung von Salz und Wasser, und verschiedene Ionenkanäle und Transporter sind bedeutsam für diesen Prozess. Insbesondere Kaliumkanäle, Chloridkanäle, der Natrium-Wasserstoff-Austauscher Na+/H+, Cl-/HCO­3- Austauscher und der Na+/ HCO­3- Ko-Transporter tragen zu der Motilität und Migration bei.

Phagozytose

Mikrogliazellen sind die professionellen intrinsischen Phagozyten des ZNS. Diese Funktion ist bedeutend für Normalentwicklung,  aber auch in Pathologie und Regeneration.  Während der Entwicklung des Gehirns ist die mikrogliale Phagozytose bedeutsam, um apoptotische Zellen zu entfernen , und sie mag auch involviert sein für das Entfernen von Synapsen in der Entwicklung.  Die Phagozytose findet man auch in vielen neurologischen Erkrankungen. Auf Grund eines Schadens sind die Zellen in der Lage, zellulären pathologischen Abfall oder ganze geschädigte Zellen zu entfernen. Über Phagozytose nehmen Mikrogliazellen auch pathologische Faktoren auf wie zum Beispiel beta-Amyloid im Zusammenhang mit der Alzheimerschen Erkrankung oder Myelin-Fragmente bei Multipler Sklerose. Viele Faktoren, Rezeptoren und Signalkaskaden regulieren die phagozytotische Aktivität. Insbesondere wird die Phagozytose durch Purinorezeptoren kontrolliert. Der metabotope P2Y6 Rezeptor stimuliert, während der P2X7 Rezeptor die Phagozytose inhibiert. Weitere Faktoren, die die Phagozytose kontrollieren, sind der Wachstumsfaktor GDNF oder TOLL-like Rezeptoren.

Antigen Präsentation

Mikrogliazellen sind die prominenten Antigen präsentierenden Zellen im ZNS. Unter normalen Bedingungen exprimieren sie die Moleküle zur Antigen Präsentation nicht. Als Konsequenz der mikroglialen Aktivierung werden der MHCII Komplex und die ko-stimulatorischen Moleküle wie CD80, CD86 und CD40 exprimiert. Die Antigen Präsentation ist bedeutsam für die Interaktion mit T-Lymphozyten. Man findet diese Hochregulation in vielen Erkrankungen, und man hat sie besonders gut in der Multiple Sklerose studiert. Mikrogliazellen phagozytieren Myelin, degradieren es und präsentieren Peptide der Myelin-Proteine als Antigen. Sie setzen auch Zytokine frei, die wichtig sind für die Rekrutierung der Leukozyten ins ZNS. Durch die Interaktion mit den T-Lymphozyten vermitteln die Mikroglia die Immunantwort des Gehirns.

Modifiziert aus: Kettenmann H.; Verkhratsky A. (2011) Neuroglia - Living Nerve Glue,  Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie   79: 588-597